Auf eigenen Pfaden

Orkus 06/2003

by Dinah Nelke-Hoyme

 

Da steht er nun also in dem eleganten Hamburger Hotelzimmer, schüttelt mir die Hand, und nachdem er sich überflüssigerweise mit „Hi, I´m Dave“ vorgestellt hat, schenkt er mir freundlich lächelnd eine Cola ein. Nun, dieser Dave ist offenbar in einer gelösten Stimmung, und sobald wir uns gesetzt haben, beginnt er sichtlich entspannt, aber auch voller Enthusaismus von seinem Erstlingswerk zu plaudern. Dabei ist er streckenweise recht nachdenklich, geht es doch auf seinem Album auch um die Aufarbeitung starker Emotionen. Vor allem aber ist er sehr stolz auf sein Solo-Debut Paper Monsters, schließlich war es ein langer Weg für ihn, dort anzukommen, wo er heute steht. Nach über 20-jähriger Bandgeschichte mit Depeche Mode hat er sich nun endlich als Songwriter etabliert.

 

O: Was hat dich veranlasst, ein Solo-Album zu machen?

 

DG: Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, ein Solo-Album zu machen. Mit dem Songwriting habe ich ernsthaft begonnen, als ich nach der „Singles“-Tour 1998 nach New York zurückkam. Ein Freund von mir hatte vorgeschlagen, ich solle mich mit Knox Chandler treffen. Ich kannte Knox schon länger und wusste, dass er bereits mit den Psychedelic Furs, Siouxsie And The Banshees und den Creatures gearbeitet hatte. Knox war sehr daran interessiert, sich mit mir zusammenzusetzen. Wir trafen uns in seinem kleinen Studio und probierten einfach ein paar Sachen aus. Ich hatte einige Ideen, die ich ihm vorspielte, und auf einmal merkten wir, dass wir Songs schrieben. Für mich war das, als würde etwas in mir erwachen. Erst als wir gemeinsam sechs oder sieben Stücke komponiert hatten, sagten wir uns: das hört sich nach einem Album an! Das ganze Projekt hatte plötzlich ein Eigenleben bekommen. Da also fing ich erst an, darüber nachzudenken, eine Platte zu machen. Als ich dann mit Daniel Miller von Mute darüber sprach, war er sofort begeistert.

 

O: Sind die Stücke alle in diesem Zeitraum der Entstehungsgeschichte deines Albums geschrieben worden, oder hattest du bereits seit Jahren Texte und Ideen für deine Lieder gesammelt?

 

DG: Ja, manche habe ich wirklich schon vor längerer Zeit notiert. Der größte Teil ist aber im Laufe des Sommers 1999 entstanden. Einige Songs habe ich auch im Frühjahr des folgenden Jahres geschrieben, als wir gerade mit den Aufnahmen für Exciter begannen. Als wir dann die Tour zu Exciter abgeschlossen hatten, wollte ich am liebsten sofort ins Studio gehe und mit den Aufnahmen loslegen. Es dauerte allerdings noch ein paar Monate, bis ich das richtige Team zusammen hatte. Erst als wir dann Ken Thomas als Produzenten gewannen, konnten wir anfangen. Ken hatte gleich ein gutes Gefühl bei meinen Songs und wollte gerne mit mir arbeiten. Er arbeitet nämlich nur an einem Projekt, wenn er sich wirklich gut dabei fühlt.

 

O: Das klingt nach einem Kompliment.

 

DG: Ja, das war toll! Ich wollte auch mit jemandem arbeiten, der Musik mag, die einem ein positives Gefühl vermittelt. Auch wenn mein Album eine Zeit reflektiert, in der es mir oft schlecht ging, gibt einem die Musik doch ein Gefühl von Optimismus und Hoffnung.

 

O: Warum hat es nie einen Dave Gahan-Song für Depeche Mode gegeben?

 

DG: Ich war noch nicht so weit. Während der Arbeit zu Ultra habe ich Martin ein Lied präsentiert. Martin fand es gut, und für ein paar Tage sah es tatsächlich so aus, als ob der Song auf der Platte erscheinen würde. Doch dann teilte er mir mit, dass das Stück sich nicht in das Thema des Albums einfügen würde. Damals fühlte ich mich wirklich verletzt. Heute bin ich irgentwie froh. Nicht das ich diesen Track für mein Album verwendet hätte, aber ich habe erkannt, dass Depeche Mode nicht bereit waren, mich zu unterstützen. Auch während der Arbeit an Exciter habe ich Martin einige Demos vorgespielt. Sie gefielen ihm zwar, doch er zeigte wieder kein Interesse daran, irgenteinen Song von mir mit auf das Album zu nehmen. Mit der Zeit wurde mir klar, dass sich die Band nicht auf mich zubewegen würde. Wenn ich mich weiterentwickeln wollte, dann mußte ich das ganz allein tun.

 

O: Glaubst du, das wird sich in Zukunft ändern? Insbesondere jetzt nach deinem Solo-Release?

 

DG: Ich habe wirklich keine Ahnung. Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich nicht mehr zurückbewegen möchte. Ich werde damit fortfahren, Songs zu schreiben, ob für Depeche Mode oder für das nächste Dave Gahan-Album.

 

O: Ich höre in Paper Monsters Einflüsse von Rock, Blues und Trip Hop sowie eine Menge akustischer Instrumente wie Klavier, Geigen, Mundharmonika und Gitarre. Welche musikalischen Inspirationen hattest du für deine Arbeit?

 

DG: All das, was du gerade genannt hast, aber auch Glam Rock. Ich mag Bands mit einem Glam-Gitarrensound, wie etwa David Bowie, T-Rex oder die Stooges. Diese Glam-Einflüsse hört man in Bottle Living und Dirty Sticky Floors. Vor allem aber inspirierten mich Künstler, die ehrliche Musik machen. Wenn ich etwa Billie Holiday höre, dann weiß ich, dass sie wirklich für mich singt. Bei Sigur Ros höre ich Mut in ihrer Musik. Den Mut, kreativ zu sein und etwas auszuprobieren, das nicht in irgentwelche Schubladen passt. Das ist etwas, das auch mir sehr wichtig ist und das mir wiederum für meine Arbeit Mut macht. Außerdem wollte ich mich nicht darauf verlassen, dass mein Album mit Hilfe der Technik schön poliert wird. Ken ist kein Produzent, der eine CD elektronisch so perfekt und glatt wie möglich bügelt. Paper Monsters soll nicht perfekt sein und sich wirklich nach einem Versuch anhören.

 

O: Die Themen deiner Lieder sind sehr persönlich. Hast du deine eigenen Erfahrungen verarbeitet, oder schreibst du Geschichten über andere Charaktere?

 

DG: Beides. Ich schreibe immer auf eine sehr visuelle Art und Weise, und ich denke auch sehr wörtlich. Manchmal kommt die Inspiration aus einer ganz persönlichen Erfahrung, manchmal aber auch aus Gesprächen mit anderen Personen, die versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Das ist etwas, was mich wirklich interessiert und bewegt. Es geht um diesen Versuch, dich durch deine Probleme hindurchzuarbeiten und sie zu bewältigen. So etwas zu schaffen ist wirklich eine Gabe.

 

O: Es geht also einerseits darum, gegen die Monster der Vergangenheit anzukämpfen, aber auch vorwärts zu blicken?

 

DG: Ja, und sich mit den Monstern in der Zukunft auseinander zu setzen, ohne sich jedoch vor ihnen zu fürchten. Wissend, dass der einzige Weg zu lernen und zu wachsen darin besteht, sich vorwärts zu bewegen. Es ist nicht mein Job, mich für andere verantwortlich zu fühlen, wenn ich merke, dass sie sich nicht selbst weiterentwickeln oder ändern wollen. Früher habe ich immer geglaubt, ich hätte die Aufgabe, in Freundschaften oder Beziehungen alle zu beschützen. Das hat mich oft überfordert und ärgerlich gemacht, und schließlich bin ich dann oft davongelaufen, wenn es mir zu viel wurde. Gegenwärtig bin ich sehr glücklich, dass ich eine sehr partnerschaftliche Beziehung mit meiner Frau habe. Wir teilen uns die Verantwortung. Wir reden über unsere Gefühle, und wenn es ein Problem gibt, sei es auch noch so groß, versuchen wir es gemeinsam anzugehen. Denn wenn du das nicht tust, dann passiert es dir, dass du abends frustriert neben deinem Partner im Bett liegst, dich aber dann doch einfach nur herumdrehst und gute Nacht sagst. Ich habe mich oft so gefühlt, als würde ich gegen mich selbst kämpfen. Also kann ich mich nur selbst ändern, wenn ich vorankommen will. Wenn ich mit meiner Familie zusammen bin, kann ich nur zuhören und aus einer Kritik hoffentlich die richtigen Schlüsse ziehen, um mein Verhalten zu ändern.

 

O: Auf Paper Monsters gibt es einige sehr sanfte Stücke, wie Hold On, A Little Piece und Stay. Insbesondere wenn du Stay singst, klingt deine Stimme sehr weich, und ich habe dich auch noch nie so hoch singen hören. Hast du an deiner Stimme gearbeitet, und was bedeutet dein Solo-Album für deine Entwicklung als Sänger?

 

DG: Das war alles ganz natürlich, ich habe gar nicht viel darüber nachgedacht. Bei Depeche Mode versuche ich immer, Martins Songs gerecht zu werden. Ich versuche, mich in ihn hineinzufühlen und nachzuempfinden, wie er den Song hört. Für mich ist das keine gute Art zu arbeiten. Für mein eigenes Album gab es keine Regeln, ich konnte alles ausprobieren. Es ging mir nicht darum, dass es sich gut anhört, es ging um das Ausprobieren. Das kommt auch in den Liedern rüber, so eine gewisse Verletzbarkeit. Aber auch etwas, womit man sich identifizieren kann, woran man glauben kann und woraus man vielleicht ein wenig Hoffnung zu schöpfen vermag. An meiner Stimme habe ich gearbeitet, seit ich in L.A. lebte. Damals habe ich angefangen, Gesangsstunden zu nehmen. Es hat mir eine Menge Selbstvertrauen gegeben, zu merken, was ich mit meiner Stimme alles machen kann. Ganz wichtig war es aber mit Leuten zu arbeiten, die mich wirklich unterstützt haben. Ich frage mich heute, warum ich diesen Rückhalt in der Vergangenheit nie gespürt habe. Das hat wohl viel mit meinem früheren gänzlichen Misstrauen dem Leben und den Menschen gegenüber zu tun, das ich seit meiner Kindheit hatte. Als Kind vertraust du den Menschen, von denen du glaubst, sie beschützen dich. Wenn du dich aber als Kind nicht sicher fühlen kannst, gehst du auch nicht sorgfältig mit deinem Leben als Erwachsener um, dir fehlt das Unvertrauen. Ich glaube, es gibt viele Probleme, die ich schon viel früher hätte lösen müssen. So haben sich die Dinge Anfang der Neunziger auf eine sehr destruktive Weise entwickelt, weil ich versuchte, meine Gefühle zu verdrängen. Heute habe ich gelernt, diese Gefühle durch die Musik zu verarbeiten, durch meine Texte und Melodien.

 

O: Also ist das Ganze so eine Art Katharsis für dich?

 

DG: Es ist auf jeden Fall der Beginn von etwas. Ich weiß noch nicht genau, was es ist, aber ich bin mir gegenüber ehrlich. Ich glaube, ich habe einen Zeitpunkt in meinem Leben erreicht, an dem ich endlich genug Mut aufbringe, auf eigenen Füssen zu stehen. Ich habe gelernt, dass ich viel mehr wert bin, als ich glaubte. Das ist etwas, das ich ganz allein herausfinden musste.

 

O: Du lebst schon seit mehreren Jahren in New York. New York hat viele Künstler inspiriert. Wie sehr spielt es eine Rolle für dich, dass du dort wohnst?

 

DG: Ich denke, es spielt eine große Rolle. Ich persönlich kann den Sound von New York in meinem Album hören. Viele Details erinnern mich an New York, an den Lärm und den Geruch der City, aber auch den Frieden, den ich dort finde, etwa mit meiner Familie in meinem wunderschönen Appartement mit Blick auf den Hudson River. Eben an alles, was ich an New York mag.

 

O: Was sind die Vor- und Nachteile am Leben in New York?

 

DG: Nun, die Vorteile überwiegen auf jeden Fall. Immer wenn ich nach New York zurückkehre, habe ich dieses warme Gefühl in mir. Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Außerdem herrscht dort eine absolute kreative Atmosphäre; die Menschen versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Das liebe ich! Ein Nachteil ist es, dass es lange dauert, bis du ein echter New Yorker wirst, um etwa zu wissen, wann man wohin gehen kann und wohin nicht. Außerdem wird es im Sommer wirklich heiß, das kann einen wahnsinnig machen. Tatsächlich haben wir einen großen Teil der Platte letzten Sommer aufgenommen. An manchen Tagen brach die Klimaanlage zusammen. Im Studio wurde es so heiß wie in einer Sauna. Auch das ist eben typisch New York, und man strengt sich noch ein bisschen mehr an. Mir gefällt diese Idee, etwas Schönes aus dem Chaos zu erschaffen.

 

O: Als Solo-Künstler steht man stark im Vordergrund und ist somit auch verletzlich. Du kannst dich nirgends verstecken oder anlehnen. Findest du das eher beunruhigend oder eher spannend?

 

DG: Ich habe heute mehr Unterstützung als jemals zuvor mit Depeche Mode. Auch als ich durch meine sehr schweren Phasen gegangen bin, war die einzige Sorge der Bandmitglieder, ob es Depeche Mode schaden könnte. Ich habe mit der Zeit erkannt, dass ich mich nicht auf Martin und Andy verlassen kann. Ich glaube, auf eine gewisse Weise haben sie mich ebenso unterstützt, wie ich sie unterstützt habe. Wir haben schon immer sehr getrennte Leben geführt, und ich war schon immer ziemlich isoliert. So lange ich denken kann, war es „ich und die anderen“.

 

O: Ihr geht ja mittlerweile alle auch eigene Wege, du und Martin als Solo-Interpreten und Andy hat sein eigenes Label Toast Hawaii gegründet. Kann das für die Band vielleicht furchtbar sein?

 

DG: Ich glaube, es kann nur gesund sein, wenn wir andere Arten von Musik erkunden und neue Wege zu arbeiten kennen lernen. Es wäre schön, wenn wir davon alle wieder etwas in die Gruppe zurückbringen könnten. Sicherlich wird das auch Auseinandersetzungen geben, aber die gehören nun einmal dazu und können ja auch produktiv sein.

 

 

O: Du geht’s mit deinem Longplayer auf Tour. Was können wir auf der Bühne erwarten?

 

DG: Also, ich werde auf jeden Fall da sein, und meine Band wird da sein. Wir werden wohl alle Albumstücke spielen, plus drei bis vier Depeche Mode-Songs. Wir treten auch auf vielen Festivals auf, was sicherlich Spaß machen wird. Ich freue mich schon sehr darauf. Das wird eine Tour, bei der ich meine Stücke präsentieren kann, um die Leute wissen zu lassen, dass ich ein Album gemacht habe. Ich mache kein Album, um eine riesige Tour zu finanzieren. Ich werde auch in viel kleineren Hallen auftreten. Anfangs war ich sehr nervös. Ich wusste nicht, ob sich überhaupt jemand für mich interessieren würde. Einige Konzerte waren aber sofort ausverkauft, was mich natürlich sehr gefreut hat. Jetzt plane ich, im Herbst noch einmal mit weiteren Terminen zurückzukommen.

 

O: Was ist der Vorteil, in kleineren Hallen zu spielen? Ist es dir wichtig, näher am Publikum zu sein?

 

DG: Für mich und die Band ist es zunächst einmal wichtig zu lernen, miteinander zu spielen. Dazu ist eine intime Atmosphäre wichtig. Aber ich mag auch die Nähe zum Publikum, wenn ich die Leute sehen, fühlen und sogar riechen kann. Das ist das authentische Gefühl einer guten Rock´n Roll-Show.

 

O: Was ist dein Lieblingsstück auf Paper Monsters ?

 

DG: Momentan ist es A Little Piece. Aber das wechselt ständig! Ich mag auch Hidden Houses sehr gern, die Aussage, die hinter diesem Song steht. Gerade Hidden Houses beschreibt für mich viel von diesem Album – dass man sich nicht hinter verschlossenen Türen verstecken, sondern herauskommen soll.

 

O: Ein Song, der mich sehr beeindruckt hat, ist…

 

DG: Ja, was ist dein Lieblingslied?

 

O: Black And Blue Again.

 

DG: Das ist auch eines meiner Lieblingsstücke! Eine Zeit lang hat meine Frau dieses Lied gehasst, weil sie wusste, dass es von ihr handelt. Aber es ist ein sehr ehrliches Stück. Ich weiß, dass vieles, was ich getan habe, nicht sehr nett war. Ich muss mich immer wieder bemühen, die Probleme in unserer Beziehung durchzustehen und nicht abzuhauen. Der Song hat mir dabei geholfen. Er ist so eine Art mahnende Erinnerung für mich, was für ein Arschloch ich sein kann. Ich möchte ein besserer Ehemann sein, und ich möchte ein besserer Vater sein. Aus diesem Grund darf ich nicht weglaufen, ich muß bleiben. Darum folgt auch der Titel Stay auf Black And Blue Again.

 

O: Deine Familie beeinflusst dich also sehr?

 

DG: Ja, immer. Es ist eine ständige Auseinandersetzung. In einer Beziehung zu sein und Vater zu sein bedeutet goße Freude, aber  manchmal ist es auch sehr schwer.

 

O: Wie würdest du Dave Gahan beschreiben?

 

DG: Ich bin einfach momentan sehr zufrieden und fühle mich mit dem, was ich mache, sehr wohl!

 


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