Weiter geht es auf jeden Fall

Sonic Seducer 07-08/2003

by Jennifer Kühr

 

In der letzten Ausgabe sprachen wir ausführlich mit Dave Gahan über die Musik auf seinem Solodebüt „Paper Monsters“ und die zu erwartende Liveumsetzung seiner Songs. Da Gahan neben seiner Solokarriere aber gleichzeitig Frontmann von Depeche Mode ist, kam das Gespräch natürlich auch auf seine Zusammenarbeit mit Andy Fletcher und Martin L. Gore, die sich in einigen Punkten deutlich von der Arbeit an seinem Solowerk unterscheidet.

 

Nur ganz wenigen Künstlern gelingt es so wie Dave, das Publikum dermaßen in ihren Bann zu ziehen, eine Atmosphäre bis zum Siedepunkt aufzuheizen und ohne künstlich einstudierte Tanzpassagen durch körperliche Ausdruckskraft genau das Gefühl der Songs wiederzugeben. Was man ihm allerdings nie angemerkt hat, ist die Tatsache, daß Dave trotz dieser einzigartigen Fähigkeit oft als Belastung empfunden hat, daß die Verantwortung für das Publikum bei Depeche Mode alleine auf seinen Schultern lag. Im ersten Moment klingt die Aussage, daß er dies gerade auf seiner Solotour verhindern möchte, paradox. Wenn man die Liveperformance zu „Paper Monsters“ aber als einen Soloausflug von Depeche Mode, ansonsten aber als den Auftritt einer Band betrachtet, wird klarer, was Dave meint. Bei den „Paper Monsters“-Shows soll sich das Auge des Zuschauers mehr auf die Band selbst richten können. „Als Band kommunizieren wir auf der Bühne viel mehr als es Depeche Mode auf der Bühne wirklich tun. Auf der letzten Tour hatte ich das Gefühl, daß wir viel mehr eine Band gewesen sind als wir es in der Vergangenheit waren, als die Aufgabe, das Publikum zu entertainen, allein auf meinen Schultern lastete. Ich möchte, daß meine Band auch ihren Teil dazu beiträgt.“

 

Backgroundsänger wird man live dagegen vergeblich suchen. Die Ursache dafür ist nicht in Daves Abneigung demgegenüber zu finden – schließlich hat er mit Jordan Bailey und Georgia Lewis 2001 während der Exciter-Tour hervorragend kollaboriert – sondern hat den gleichen Grund, dessentwegen Anton Corbijn zwar künstlerisch für das Albumdesign, nicht aber für das Stagedesign zuständig war: Das liebe Geld! „Vor allem habe ich nicht die Summe an Geld für das Bühnendesign zur Verfügung wie es bei Depeche Mode der Fall ist und Anton ist sehr teuer“, begründet Dave die Entscheidung und wirft damit die Frage nach der Bedeutung des kommerziellen Erfolges von „Paper Monsters“ für ihn auf. „Kommerzieller Erfolg ist wichtig für mich; er war auch für Depeche Mode immer wichtig“, gibt er angenehm ehrlich zu. Anders als die meisten Künstler behauptet er nicht, daß es ihm bei seiner Scheibe ausschließlich um das künstlerische und geistige Potential ginge. In dieser Beziehung ist Dave Realist – Geld verdienen muß schließlich jeder, und auch wenn der Sänger wahrscheinlich einen höheren Lebensstandard hat als die meisten von uns, hat er mittlerweile für eine Familie und drei schulpflichtige Kinder zu sorgen. Keinesfalls darf allerdings der Eindruck entstehen, Dave wäre mit seinem Soloalbum allein auf den schnellen finanziellen Erfolg aus. Das Gegenteil ist der Fall, wie er selbst es am besten beschreibt: „Ich bin glücklich darüber, daß ich meine eigenen Überzeugungen wieder gefunden habe und auf meine Art und Weise dazu beitragen kann die Welt zu verändern. Ich weiß, ich habe mein Bestes getan.“

 

Auch wenn eigentlich Dave Gahan und sein Solowerk das Thema ist, und es für den Künstler selbst möglicherweise unangenehm sein mag, darf am Ende die Frage nach der Zukunft von Depeche Mode nicht fehlen. Wird es ein weiteres Soloprojekt geben und werden sich diese Tätigkeiten nachteilig auf den Fortbestand der vor über 20 Jahren gegründeten Band auswirken? Diese Frage gewinnt zusätzlich an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß es schon während der Produktion zum letzten DM-Album böses Blut gegeben hat, weil sich die bekannten Strukturen nicht ändern ließen und Dave nicht die Möglichkeit hatte, sich bereits auf Exciter als Songlieferant zu betätigen. Eins steht fest: Dave hat Geschmack daran gefunden, etwas Eigenes zu kreieren und will auf jeden Fall weitere Erfahrungen in dieser Richtung sammeln. Mit der Fertigstellung von „Paper Monsters“ ist für ihn das Songschreiben auf keinen Fall abgeschlossen: „Ich plane mehr. Knox und ich haben bereits darüber gesprochen, zusammen zu schreiben, aber ob das dann für Depeche Mode oder für die nächste Dave Gahan Scheibe sein wird, das weiß ich nicht.“

 

Fletch ließ verlauten, daß sich die Band 2004 im Studio treffen würde und 2005 mit einer neuen Tournee zu rechnen sei, für Dave steht allerdings absolut fest, daß dies nur dann der Fall sein wird, wenn ihm die Möglichkeit gegeben wird, sich nicht nur stimmlich sondern auch komponierend und textend daran beteiligen zu können. „Wenn die Zeit kommt, wieder über ein neues Depeche Mode Album zu sprechen, und ich bin sicher, diese Zeit wird kommen, werde ich nicht in der Lage sein, ein neues Album zu machen ohne einige meiner eigenen Lieder dazu beizutragen.“

 

Bleibt in Bezug auf Depeche Mode also nur die Hoffnung, daß die Strukturen nicht unumstößlich festgefahren sind. Ansonsten wird es wohl in der Zukunft lediglich ein weiteres „Paper Monsters“ zu bewundern geben, was natürlich auch seine Vorzüge hätte. Dave jedenfalls ist mit seinem Leben momentan rundum zufrieden: „Dies ist definitiv eine neue Station in meinem Leben. Es ist voller Wunder und ich weiß nicht, was noch alles geschehen wird. Es gibt keine Regeln, das mag ich, es fühlt sich gut an.“

 


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